Aggression durch Schilddrüsenunterfunktion?

Bei Auftreten von Aggression wird teilweise die Diagnose Schilddrüsenunterfunktion erwogen. Doch lässt sich wissenschaftlich ein Zusammenhang feststellen und wenn ja: Welche physiologischen Abläufe sind wirksam?

Zugunsten der Verständlichkeit stark vereinfacht

Überblick über den wissenschaftlicher Stand

Verhaltensänderungen durch eine Schilddrüsenunterfunktion sind mehr oder weniger anerkannt. Unklar ist teilweise aber, welche Veränderungen auf eine Schilddrüsenunterfunktion zurückzuführen sind. Besonders der Zusammenhang mit Aggression ist umstritten.

Einen Zusammenhang mit einer subklinischen SDU nehmen u. a. Dodds, Dodmann [3], Conas und Dramard [4] an.

Scott-Mongriff u. a. sehen hingegen einen Zusammenhang zwischen Aggression und Schilddrüsenunterfunktion nicht wissenschaftlich belegt. Viele der Studien dazu sind wurden nur mit einer geringen Anzahl Hunde durchgeführt. In Zusammenhang mit einer Substitution findet in der Regel auch eine Verhaltenstherapie statt, sodass eine Trennung der Effekte schwierig ist. Zudem reduziert sich durch Substitution die Aggression nicht bei allen Hunden.

Einen kurzen Abriss zur Diskussion findet sich in „Dr. Jekyll & Mr. Hund“.

Ob man einen Zusammenhang zwischen Schilddrüsenunterfunktion und Aggression annimmt oder nicht, kann für die Behandlung eines aggressiven Hundes bedeutsam sein. Geht man von einem Zusammenhang aus, kann Aggression als Hinweis auf eine Schilddrüsenunterfunktion gedeutet werden. Schließt man einen Zusammenhang aus, ist Aggression (ggf. zusätzlich) zu behandeln.

Hund mit Kauartikel im Maul und gezogenen Leftzen. Eine mögliche Aggressionsform ist Futteraggression.
Eine mögliche Aggressionsform ist Futteraggression. (Bildquelle: pixabay)

Was ist Aggression?

Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Feddersen-Peterson [5] schreibt, dass aggressives Verhalten im Wortsinn „das aktive Aufsuchen einer Situation [ist], die mit Distanzunterschreitung zu tun hat“.

Aggressivität – also die Bereitschaft und das Ausmaß der Handlung – resultiert aus einer Vielzahl von Motivationen, die wiederum von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden. Feddersen-Peterson führt u. a. folgende Punkte auf: endogene Faktoren (wie Läufigkeit, Trächtigkeit), Störungen (Krankheiten), Frustration, Angst bei Ausweglosigkeit.

Aggression kann defensiv (Abwehr) und offensiv (Angriff) sein. Sie beinhaltet verschiedene Elemente, wie Drohung, Vertreibung, Zufügen von Schmerz und Verletzungen.

Offensives Drohen unterscheidet sich vom defensiven Drohen. Beim offensiven Drohen wird u. a. „Vorne-Zähneblecken“ gezeigt, beim defensiven dagegen „Voll-Zähneblecken“. Knurren tritt bei beiden Varianten auf. Zum defensiven Drohen gehören u. a. auch Abwehrschnappen und Abwehrdrohen.

Während zur offensiven Aggression Angriff und Beißen gehören, wird bei defensiver Aggression Abwehrbeißen gezeigt.

Von diesen Aggressionsformen ist die spielerische Aggression zu unterscheiden, die eher in den Bereich Spielmotivation gehört und keine beabsichtigte Verletzungen umfasst (gehemmte Aggression).

Bei aggressivem Verhalten muss also unterschieden werden zwischen Angriffs-, Verteidigungs- und Spielverhalten. Die Unterschiede (z. B. in der Körpersprache) sind insbesondere von unerfahrenen Hundehaltern nur schwer zu erkennen. Das wirkt sich auf die Einstufung des Hundes durch den Halter, auf die Kommunikation mit Verhaltenstherapeuten, aber auch auf die Angaben in studienbegleitenden Fragebögen aus.

Beispiel: Untersuchung von Dodman

In einer Untersuchung von Dodmann [3] wurden 29 schilddrüsenkranke Hunde, die aggressiv gegenüber ihren Besitzer waren, in eine Placebo- und eine Therapiegruppe aufgeteilt. In der extern betreuten Gruppe („Fernteilnehmer“) waren signifikant mehr Hunde, die mit T4-substituiert wurden (also keine Placebos erhielten) als in der durch die Klinik betreuten Gruppen („Klinikgruppe“). Begleitend zu den Medikamenten / Placebos erhielten die Besitzer Ratschläge zu Verhaltenssteuerung und -management.

Sowohl in der Medikamentengruppe als auch in der Placebo-Gruppe nahm die Aggression innerhalb der 6 Wochen signifikant ab. Im Vergleich zwischen beiden Gruppen reduzierte sich die Aggression in der Therapiegruppe signifikant stärker. Rechnete man die 3 Hunde heraus, die nach wie vor grenzwertige Hormonwerte hatten, ergab sich zwischen beiden Gruppen allerdings kein merklicher Unterschied mehr.

Als aggressives Verhalten wurden gewertet: knurren, schnappen, Lefzen hochziehen, beißen. Es wurde nicht zwischen offensiver und defensiver Aggression unterschieden. Das aggressive Verhalten wurde verschiedenen Problemsituationen zugeordnet.

Balkengrafik Problemsituationen Fern- und Klinikgruppe, gruppiert nach mögichen Motivationen. Die von den Teilnehmern genannten Probleme unterscheiden sich stark zwischen den „Fernteilnehmern“ und der „Klinikgruppe“. (Datenquelle: Dodman [3], ergänzt durch „Mögliche Motivationen“)
Die von den Teilnehmern genannten Probleme unterscheiden sich stark zwischen den „Fernteilnehmern“ und der „Klinikgruppe“. (Datenquelle: Dodman [3], ergänzt durch „Mögliche Motivationen“)

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Auffällig sind die starken Unterschiede der genannten Problemsituationen – sowohl in den einzelnen Problemsituationen als auch in den Prozentsätzen.

Bei den Fernteilnehmern wurde mit 85 % die Problemsituation „Hund von einem Möbelstück entfernen (physisch oder verbal)“ an erster Stelle genannt, an zweiter Stelle (75 %) die Situation „Aufwecken des Hundes durch körperliche Aktion / Stören des ruhenden Hundes“. Mit jeweils 70 % wurden „Hundefutter anfassen oder Futter hinzufügen, während der Hund frisst“, „Ein gestohlenes Objekt wegnehmen“ und „Krallen schneiden“ aufgeführt.
Bei der Klinikgruppe nannten 89 % das Aufwecken des Hundes, gefolgt von (jeweils mit 56 % angegeben) „Knochen oder ähnliches wegnehmen“, „Leckeres Futter anfassen, während der Hund frisst“, „Hund mit lauter Stimme zurechtweisen“, „An einem Hund auf einem Möbelstück vorbei gehen oder mit ihm reden“.
Drohen mit Hand / Zeitung tauscht in der Klinikgruppe gar nicht auf, wohingegen 30 % der Fernteilnehmer diesen Punkt nannten. Dagegen wird in der Klinikgruppe die Situation „Den Hund mit lauter Stimme zurechtweisen“ deutlich häufiger genannt als in der Vergleichsgruppe.
Während in der Ferngruppe bei den Problemsituationen körperliche Interaktionen an den ersten Stellen stehen, findet man in der Klinikgruppe an den ersten Stellen verschiedene Interaktionsformen.
Die Situation „Ein gestohlenes Objekt wegnehmen“ wird in der Ferngruppe fast doppelt so häufig als Problem geschildert, als in der Klinikgruppe. Hunde nutzen „gestohlene Gegenstände“ häufig als Aufforderung zum Spiel (mit entsprechendem Spielsignalement und ohne echte Aggression).
Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Klinikgruppe alleine durch den direkten Kontakt mit der Studiengruppe profitiert hat und Situationen anders bewertet.

Hund mit Pantoffel in der Schnauze. Hunde verwenden „geklaute“ Gegenstände häufig zur Spielanimation oder um Aufmerksamkeit zu erregen. Die im Spielverhalten gezeigte Aggression kann leicht missverstanden werden. (Bildquelle: pixabay)
Hunde verwenden „geklaute“ Gegenstände häufig zur Spielanimation oder um Aufmerksamkeit zu erregen. Die im Spielverhalten gezeigte Aggression kann leicht missverstanden werden. (Bildquelle: pixabay)

Aggression als Sekundäreffekt

Niemand / Suter [7] führten Aggression in ihrem Standardwerk „Praktikum der Hundeklinik“ von 1989 als Symptom einer SDU auf. Allerdings weisen die weiteren aufgeführten Symptome darauf hin, dass hier die Rede von einer klinischen SDU ist.

Unabhängig von der Ausprägung der Schilddrüsenunterfunktion kann Aggression als Reaktion auf körperliches Unwohlsein auftreten.

Bei einer Schilddrüsenunterfunktion ist der Stoffwechsel reduziert. Die Folgen sind u. a. ein geringeres Aktivitätsniveau und schnelle Ermüdung. Dadurch werden die körperlichen und psychischen Grenzen schneller erreicht und überschritten. Als Ausdruck der Ermüdung oder Überforderung können Abwehrhandlungen und / oder Übersprungshandlungen, inklusive Aggression, auftreten.

Dramard [4] verweist darauf, dass manche Menschen mit Schilddrüsenunterfunktion berührungsempfindlich sind und spekuliert, dass dies auch für Hunde zutreffen könnte. Die Hunde vermeiden dann Berührungen, weichen Streicheln und Kuscheln aus oder wehren Berührungen teilweise aggressiv ab. Mit der Substitution ändert sich das Verhalten.

Auch andere Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion können zu Schmerzen oder körperlichem Unwohlsein führen und somit Aggression zur Folge haben.

In all diesen Fällen ist das Auftreten von Aggression als unspezifische Auswirkung zu bezeichnen, da sie lediglich ein sekundärer Effekt der primären Symptome ist.

Spurensuche: Physiologischer Zusammenhang Schilddrüsenunterfunktion und Aggression

Hrovat et al. [6] untersuchten die Verhaltensänderungen und Blutwerte von 20 Hunden mit einer nachgewiesenen SDU vor der Substitution (T0) sowie 6 Wochen (T1) und 6 Monate (T2) nach Beginn der Substitution. Die Verhaltensbeurteilung erfolgte durch standardisierte Fragebögen (Canine Behavioral Assessment and Research Questionnaire (C-BARQ)). Bei den Blutwerten standen Serotonin und Prolaktin im Fokus.Bei allen Hunden war Cholesterin, bei 14 Hunden Triglyzerid erhöht.

Bei keinem der Hunde lagen Abweichungen bei anderen Blutwerten vor, keiner der Hunde hatte auffälliges Verhalten. Zum Zeitpunkt T1 war der T4 von 5 Hunde nicht im Normalbereich, bei der Wiederholungsmessung (T2) lediglich bei 2 Hunden.

Im Zuge der Substitution lag der T4-Wert im Schnitt bei 3 µg/dl (T1) bzw. 2,7 µg/dl (T2). Dies entspricht in etwa dem oberen Bereich des 2ten Drittels im Referenzbereich. TSH lag im Schnitt bei 0,12 ng/ml (T1) bzw. 0,1 ng/dl (T2).

Balkengrafik T4 und TSH-Werte T4 steigt, TSH nimmt ab. T4/TSH Mittelwerte von T4 und TSH zu den Zeitpunkten T0, T1 und T2 (Datenquelle: Hrovat [6])
T4- / TSH Mittelwerte von T4 und TSH zu den Zeitpunkten T0, T1 und T2 (Datenquelle: Hrovat [6])

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Verhalten

Als Verhaltensparameter wurden durch die Besitzer beurteilt:

  • Trainierbarkeit
  • Aggression
  • Angst, Ängstlichkeit
  • Trennungsangst
  • Erregbarkeit, reaktives Verhalten
  • Anhänglichkeit, Bindung
  • Sonstiges auffälliges Verhalten, wie zum Beispiel Aktivitätsniveau.

Die Fragen des C-BARQ-Testes können hier eingesehen werden.

Einzige signifikante Verhaltensänderung war das Aktivitätsniveau im Vergleich zwischen T0 und T1, also direkt nach Beginn der  Substitution. Eine extrem schwache Verbesserung (außerhalb des definierten Signifikanzniveaus) war bei den Verhaltensparametern Aggression und Erregbarkeit / reaktives Verhalten (ebenfalls zu den Zeitpunkten T0 und T1) feststellbar.

Die fehlenden Verbesserungen zwischen T1 und T2 könnten aus Fehlbeurteilungen der Halter resultieren. Die letzte Beurteilung lag den Teilnehmern nicht vor, der zeitlich nahe Vergleich zur vorherigen Beurteilung fehlt. Weitere Faktoren könnten sein: Gewöhnung an das geänderte Verhalten und nachlassende Sensibilität hinsichtlich des Verhaltens.

Balkengrafik: Veränderungen in den Verhaltenskategorien. Viele der Verhaltensfaktoren änderten sich nach Beginn der Substitution bis zum Zeitpunkt T1. Signifikant war jedoch nur die Zunahme der Aktivität. (Datenquelle: Hrovat [6])
Viele der Verhaltensfaktoren änderten sich nach Beginn der Substitution bis zum Zeitpunkt T1. Signifikant war jedoch nur die Zunahme der Aktivität. (Datenquelle: Hrovat [6])

Serotonin

Serotoninmangel steht in Verbindung mit Aggression, insbesondere der früher sogenannten „Dominanz-Aggression“. Ausgeglichene Serotoninspiegel vermindern hingegen aggressives Verhalten.

Schilddrüsenhormone und Serotonin beeinflussen sich gegenseitig und sind positiv korreliert: Niedrige Schilddrüsenhormonwerte führen zu niedrigen Serotoninwerten.

Der Serotoninspiegel wird zudem durch weitere Faktoren beeinflusst. Stress führt z. B. zum Absinken des Serotoninspiegels.

Hrovat et al. stellten in ihrer Studie im Zuge der Substitution einen geringfügigen Rückgang von Serotonin fest. Eine Reduzierung des Serotoninspiegels bei Erhöhung der T4-Werte widerspricht den bisherigen Forschungsergebnissen. Allerdings war der Rückgang nicht signifikant, kann also zufällig sein.

Ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Serotoninspiegels und den T4-Werten konnte jedenfalls nicht festgestellt werden.

In einer Untersuchung [1], in der bei Mäusen eine autoimmune Schilddrüsenunterfunktion provoziert wurde, bewirkte die Schilddrüsenunterfunktion neurologische Entzündungen. Damit einhergehend konnte eine Reduzierung der Serotonin-Signalübertragung im präfrontalen Cortex festgestellt werden. Das heißt, dass zwar Serotonin vorhanden war, aber „seine Aufgaben nicht erfüllen konnte“.

Balkengrafik: keine Veränderungen bei Serotonin und Prolaktion im Zeitverlauf. Im Laufe der Substitution konnten keine Veränderungen von Serotonin oder Prolaktin im Blutserum festgestellt werden. (Datenquelle: Hrovat [6])
Im Laufe der Substitution konnten keine Veränderungen von Serotonin oder Prolaktin im Blutserum festgestellt werden. (Datenquelle: Hrovat [6])

Prolaktin

Durch Prolaktin werden Verhaltensweisen in Zusammenhang mit der Welpenaufzucht beeinflusst, wie z. B. beschützen und verteidigen der Welpen. Prolaktin kann zudem zur Verteidigung des Hundehalters führen oder zu Aggression gegen die Welpen. Bei Hunden tritt Aggression in Verbindung mit hohen Prolaktinwerten bei Scheinträchtigkeit auf.

Bei Frauen mit Schilddrüsenunterfunktion wurden in einigen Studien hohe Prolaktinwerte in Verbindung mit aggressivem Verhalten oder Stimmungsschwankungen festgestellt. Andere Studien konnten jedoch keinen Zusammenhang nachweisen.

Serotonin fördert die Prolaktin-Ausschüttung. Versuche zeigten jedoch, dass Personen, die nur mit einer geringen Prolaktin-Ausschüttung auf Serotonin reagierten, mehr aggressive Verhaltensweisen zeigten, als jene, bei denen eine hohe Prolaktin-Ausschüttung erfolgte.

Insgesamt steht Prolaktin in Wechselwirkung mit zahlreichen internen und externen Einflüssen.

TRH stimuliert die Prolaktin-Bildung. Man könnte daher erwarten, dass bei einem Hund mit Schilddrüsenunterfunktion aufgrund der TRH-Stimulation der Schilddrüse auch vermehrt Prolaktin gebildet wird, welches dann zu Aggressionen führt. Bei einer Substitution würde die TRH-Stimulation und somit die Prolaktinproduktion reduziert und bestehende Aggression vermindert.

In der vorgestellten Studie konnte jedoch keine Veränderung der Prolaktinwerte festgestellt werden.

Resultate und Aussagekraft der Studie

Die Studie belegt keinen Zusammenhang zwischen einer Substitution und Verhaltensbesserungen, mit Ausnahme einer Erhöhung des Aktivitätsniveaus. Auch konnten keine Veränderungen im Serotonin- und Prolaktin-Spiegel festgestellt werden.

Hrovat et al. verweisen allerdings auf Einschränkungen der Studie:

  • In der Studie war lediglich die sehr geringe Anzahl von 20 Hunden einbezogen.
  • Keiner der Hunde zeigte (gravierende) Verhaltensauffälligkeiten.
  • Die Beurteilungen des Verhaltens erfolgte durch die Halter und ist somit subjektiv.
  • Keiner der Hunde hatte im Laufe der Studie auffällige Serotonin- oder Prolaktin-Spiegel. Somit kann auch kein positiver Effekt der Substitution auf deren Werte untersucht werden.

Anhand der Studie kann daher eine positive Wirkung einer Substitution bei Hunden mit erhöhter Reizbarkeit und unprovozierter Aggression gegenüber Tieren und Menschen nicht ausgeschlossen werden.

Somit sind weitere Studien erforderlich, die gegebenenfalls vorhandene physiologische Änderungen durch eine Schilddrüsenunterfunktion, die eine Aggression begünstigen, untersuchen.

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Spielen Schilddrüsen-Autoantikörper eine Rolle?

Aggressiver Hund. Haben Schilddrüsen-Antikörper Einfluss auf aggressives Verhalten?
Haben Schilddrüsen-Antikörper Einfluss auf aggressives Verhalten? (Bildquelle: pixabay)

Beim Menschen tritt eine spezifische entzündliche Gehirn-Erkrankung, die Hashimoto Enzephalopathie, auf. Typisches diagnostisches Kennzeichen bei entsprechenden Symptomen ist das Vorhandensein von TPO-AK in der Gehirnflüssigkeit, bei rund 70 % finden sich TAK. [2]

Die Krankheit tritt bei euthyreoten, also schilddrüsengesunden, Menschen auf, aber auch bei solchen mit einer schwach ausgeprägten Schilddrüsenunterfunktion (insgesamt rund 75 % der Fälle). Seltener ist sie bei einer ausgeprägten SDU oder einer Überfunktion zu finden. Insgesamt ist die Hashimoto Enzephalopathie ausgesprochen selten.

Die Krankheit geht mit reversiblen Gehirnschäden einher. Symptome sind verschiedene neurologische Ausfallerscheinungen, wie Bewusstseinsstörungen, kognitive Dysfunktion, Gangstörungen und epileptische Anfälle. Unter den psychotischen Störungen werden u. a. paranoide, visuelle Halluzinationen, Ängstlichkeit und Stimmungsschwankungen genannt. Bei Hunden könnten sich diese Symptome u. a. als aggressives Verhalten zeigen.

Es ist allerdings unklar, ob die Antikörper selbst zu diesen Gehirn-Veränderungen führen oder lediglich eine untergeordnete, begleitende Rolle spielen. Viele Studien verweisen darauf, dass TPO-AK und TAK in der gesunden Bevölkerung weit verbreitet sind und sehen eher eine „zufällige“ Rolle der TPO-AKs. Bei Hunden sind TPO-AKs ebenfalls bei gesunden Hunden weit verbreitet und können daher nicht zur Diagnose einer SDU herangezogen werden. Auch TAK treten bei euthyroten Hunden auf.

Im Mausmodell [1] zeigten sich bei einer autoimmunen Schilddrüsenunterfunktion sowohl entzündungsfördernde Zytokine als auch Schilddrüsen-Autoantikörper im Gehirn. Ein direkter Zusammenhang konnte jedoch auch hier nicht festgestellt werden.

Ob Hashimoto Enzephalopathie (oder eine adäquate Erkrankungen) bei Hunden auftritt und ob bzw. in welchem Umfang die (z. T. sehr widersprüchlichen) Erkenntnisse aus dem Humanbereich auf Hunde übertragbar sind, ist nicht untersucht.

In einem Vergleich zwischen 60 schilddrüsenkranken Hunden, die sich aggressiv gegen Familienmitglieder verhielten und solchen, die es nicht aggressiv waren, hatte die „aggressive“ Gruppe signifikant höhere T4-AK-Werte. Alle Schilddrüsen-Antikörper (TH-AK, TAK) lagen jedoch innerhalb der Referenzbereiche (also < 20 %). [8]

Eine weitere Untersuchung belegte, dass (beim Menschen) durch TAK und TPO-AK der Glucose-Stoffwechsel im Gehirn verändert wird. Damit verbunden sind emotionale Schwankungen und weitere Verhaltensänderungen.

Auch in diesem Bereich sind daher weitere Forschung erforderlich.

Fazit

Aggression kann viele– auch krankheitsbedingte – Ursachen haben. Bei der Anamnese müssen insbesondere die Situation und nach Möglichkeit die Motivation analysiert werden. Verschiedene Krankheiten sowie krankheitsbedingte Schmerzen müssen berücksichtigt, abgeklärt und ggf. behandelt werden.

Von Verhaltenstherapeuten festgestellte Aggression, die mit der Substitution verschwindet, kann evtl. auf Sekundäreffekte zurückgeführt werden.

Ob eine Schilddrüsenunterfunktion unmittelbar im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten steht, ist wissenschaftlich nach wie vor nicht erwiesen. Über physiologische Zusammenhänge wird noch geforscht.

Hund mit Maulkorb. Das Management des aggressiven Hunds hat neben der Ursachensuche oberste Priorität.
Das Management des aggressiven Hunds hat neben der Ursachensuche oberste Priorität. (Bildquelle: pixabay)

Der Hundehalter sollte in der Lage sein, Aggression situationsbezogen zu interpretieren und adäquat zu reagieren. Aggressionsmanagement sowie Training von Hund und Halter hilft Gefahren zu reduzieren.

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  1. Cai YJ et al.: Hashimoto’s thyroiditis induces neuroinflammation and emotional alterations in euthyroid mice. Journal of Neuroinflammation, 15:299, 2018.
  2. Churilov LP et al: Thyroid gland and brain: Enigma of Hashimoto’s encephalopathy. Best Practice & Research Clinical Endocrinology & Metabolism, ISSN: 1521-690X, Vol: 33, Issue: 6, Page: 101364, 2019
  3. Dodman NH et al. The effect of thyroid replacement in dogs with suboptimal thyroid function on owner-directed aggression: A randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Journal of Veterinary Behavior 2013; 8; Issue 4: 225–230.
  4. Dramard V. Troubles du comportement chez le chien Et si c´était la tyroide? Rueil-Malmaison: Wolters-Kluwer; 2010
  5. Feddersen-Petersen DU: Ausdrucksverhalten beim Hund. Franckh-Kosmos Verlags-GbmH & Co. KG Stuttgart, 2008, ISBN 978-3-440-09863-9.
  6. Hrovat A, De Keuster T, Kooistra HS, et al. Behavior in dogs with spontaneous hypothyroidism during treatment with levothyroxine. J Vet Intern Med. 2019;33: 64–71. https://doi.org/10.1111/jvim.15342
  7. Niemand HG, Suter PF: Praktikum der Hundeklinik, 6. Auflage. Verlag Paul Parey: Berlin und Hamburg; 1989.
  8. Radosta LA, Shofer FS, Reisner IR: Comparison of thyroid analytes in dogs aggressive to familiar people and in non-aggressive dogs. Vet J 2012; 192: 472 – 475
  9. Zimmermann B: Dr. Jekyll & Mr. Hund. Ausgeglichene Schilddrüse – ausgeglichener Hund, 1. Auflage. Thieme Verlag: Stuttgart – New York; 2018.

by naseweisbz.net

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