Gestatten: Dr. Internet – Diagnose der Schilddrüsenunterfunktion im gemeinsamen Dialog

Wie sinnvoll sind Internetforen und -gruppen bei der Diagnose der Schilddrüsenunterfunktion? Können Sie dem betroffenen Hundehalter helfen? Wo sind die Schwachstellen?

Ein schmuddeliger Tierarzt: Ein guter Tierarzt?
Dr. Internet: stets zur Stelle und immer auf dem neuesten Stand (Quelle: Piaxbay)

Die subklinische Schilddrüsenunterfunktion (sSDU) wird zunehmend als eine mögliche Ursache für Verhaltensstörungen anerkannt. Bei Hundehaltern mit problematischen Hunden regt sich oft irgendwann der Verdacht, dass auch bei ihrem Hund die Schilddrüse an den Problemen beteiligt sein könnte. Teilweise werden sie durch Hundetrainer darauf aufmerksam gemacht, teilweise finden sie entsprechende Hinweise im Internet.
Typischerweise sind die Hormonwerte innerhalb des Referenzbereiches, sodass eine Diagnose nur mit den „klassischen“ Parametern (TSH und T4 bzw. fT4, ggf. Cholesterin, k-Wert) nicht möglich ist. Manche Tierärzte schließen auf Basis der Untersuchungsergebnisse daher eine Schilddrüsenunterfunktion (SDU) aus. Der gut vernetzte Hundehalter wendet sich nun an seine Leidensgenossen im Internet, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Das kann durchaus hilfreich sein. So kann es einen Anstoß geben, die Ergebnisse nochmals mit dem Tierarzt zu besprechen oder eine zweite Meinung einzuholen.
Es kann aber auch kontraproduktiv sein, zum Beispiel, wenn die „Wunschdiagnose“ zu einem Tierarztpilgern führt, das Vertrauen in den Tierarzt zerstört wird, korrekte Arztmeinungen angezweifelt werden, Falschinformationen verbreitet werden etc.

Zahlreiche Einflüsse führen zu Diagnoseproblemen, insbesondere bei der subklinischen SDU.
Zahlreiche Einflüsse führen zu Diagnoseproblemen, insbesondere bei der subklinischen SDU.

Die Diagnose einer sSDU ist schwierig, da zahlreiche Faktoren die Schilddrüse beeinflussen. Zur Diagnose einer sSDU gehört daher eine gründliche Anamnese, die Verhalten, Blutbild, Haltungsbedingungen, klinisches Bild des Hundes, Ernährung und vieles mehr berücksichtigt. Zum Beispiel kann Dauerstress zur Erniedrigung der Schilddrüsen-Hormone und zu Verhaltensauffälligkeiten führen.
Der behandelnde Tierarzt, der die SDU nicht bestätigt, wird in sozialen Medien oft als „unfähig, hat keine Ahnung, uninteressiert“ oder ähnlich bezeichnet. Basis für diese Beurteilung sind vor allem die knappen Schilderungen des Halters und verschiedene Blutwerte, die dazu veröffentlicht wurden. Weitere Einflussfaktoren auf die Schilddrüsen-Werte werden selten erfragt oder gar bewertet. Eine Berücksichtigung „hausgemachter“ Probleme, etwa aus den Haltungsbedingungen, ist wichtig – erfolgt jedoch in Foren / Gruppen meistens nicht. Häufig werden speziell Angaben hierzu seitens der Hundehalter ohnehin vermieden.
Um im Internet einen Verdacht bzgl. SDU geben zu können, sind (ebenso wie beim Tierarzt) umfangreiche Informationen notwendig. Das heißt seitens des Fragestellers viel Text schreiben und seitens der Ratgeber, viel Lesen, Kombinieren, Nachdenken, Nachfragen. All dies findet i. d. R. nicht statt. Häufig sind die Antworten in den Social Media Schnellschüsse.
Nur selten wird das Thema „Ernährung“ – hier insbesondere die Jodversorgung – angesprochen. Anhaltender Jodmangel führt zu einer Schilddrüsenunterfunktion. Teilweise wird die Jodversorgung zwar angesprochen, aber auf ein Barf-Profil verwiesen. Der Jodgehalt im Blut ist allerdings wenig aussagefähig. Manchmal wird die Zink-Versorgung erfragt. Aber auch hier sind die Blutwerte kein Maßstab für eine adäquate Versorgung.
Von manchen Usern werden die Hormon-Antikörper (TH-AK) als Diagnosekriterium herangezogen. TH-AK treten messtechnisch bedingt bei vielen Hunden auf, ohne dass eine SDU vorliegt. Sie sind daher in der Diagnose nur als zusätzliche Hinweise interpretierbar und auch nur dann, wenn sie einen gewissen Wert überschreiten. TH-AK treten zu fast 95 % nur mit Thyreoglobulin-Antikörper (TAK) zusammen auf (s. Autoantikörper bei Hunden mit Schilddrüsenunterfunktion). Manche Ratgeber diagnostizieren jedoch auch dann eine Schilddrüsenunterfunktion, wenn TH-AK unterhalb des Grenz-Bereiches liegen und somit keine Beurteilung möglich ist. Dass damit nahezu alle in den entsprechenden Internet-Gruppen vorgestellten Blutbilder auf eine SDU hindeuten, entgeht vielen. Treten TH-AK unterhalb des definierten Bereiches bei einem substituierten Hund auf, wird daraus geschlossen, dass die Dosis erhöht werden muss.
Auch die Einstiegs-Dosis wird gerne beanstandet. In der Regel werden die Hormone eingeschlichen. In Einzelfällen kann es jedoch sinnvoll sein, unmittelbar mit einer höheren Dosis einzusteigen. Die Kritik an dem „unfähigen“ Tierarzt erfolgt hierbei ohne Kenntnis der Umstände, die zu dieser Dosierung geführt haben.
Ebenso werden Dosierungsempfehlungen teilweise ohne Berücksichtigung der Umstände, sondern basierend auf Blutwerte gegeben. Paradoxerweise werden bei der „Diagnose“ Hormonwerte als individuell verschieden und wenig aussagefähig eingestuft, bei der Beurteilung der Dosierung wird hingegen nach Schema F verfahren. Selbst wenn der Halter das Verhalten des Hundes als gut einstuft, was auf die richtige Dosis hindeutet, wird teilweise darauf gedrängt, die Dosis zu erhöhen.
Absetzen der Medikamente ist weitgehend verpönt. Empfiehlt ein Tierarzt nach kurzer Substitution aufgrund bestimmter Kriterien ein Absetzen der Hormone und die Suche nach anderen Ursachen, wird dies als völlig falsch eingestuft. Vielmehr sollte die Dosierung erhöht werden…. Die Tendenz, alles auf die SDU oder falsche Dosierung zu schieben, ist teilweise relativ hoch.
Wenn sich trotz Substitution das Verhalten nicht bessert und der T3-Wert nicht steigt, wird in der Regel eine T3-Substitution empfohlen, da T3 als Verhaltensindikator bezeichnet wird (s. auch Schilddrüsenunterfunktion und T3). Andere Einflüsse oder gar eine falsche Diagnose werden nicht in Erwägung gezogen.
Hinterfragt man die getroffenen Aussagen, z. B. aus welcher seriösen Quelle das Wissen stammt, bleibt die Nachfrage oft unbeantwortet, wird bestenfalls mit „Das ist allgemein bekannt“ kommentiert oder es wird auf unwichtige Details ausgewichen. Ihre Aussagen werten die Ratgeber gerne mit Verweis auf „Schilddrüsenspezialisten“ oder gar als „Zitat von xyz / aus dem Schriftwerk abc“ auf. Nicht selten sind jedoch Zitate falsch oder frei erfunden, wissenschaftliche Aussagen wurden aus dem Zusammenhang gerissen, pauschalisiert oder sonst wie „passend“ gemacht.


Natürlich sind Pauschalisierung wie DIE Foren/Gruppen und DIE Ratgeber falsch. Es gibt große Unterschiede in der Qualität der Antworten und noch mehr in den Usern. Eine gesunde Skepsis bzgl. der Aussagen im sozialen Medien sollte jedoch stets vorhanden sein.
Die meisten Tierärzte sind offen für fachlich fundierte Diskussionen – die wenigsten diskutieren allerdings gerne mit Dr. Internet.

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