Kuhglocken sind für die einen Tradition und notwendig für die Haltung von Freilandherden. Für andere sind Kuhglocken Tierquälerei und eine Lärmbelästigung. Der Versuch, einer wissenschaftlich basierten, emotionslosen Abwägung.
Zum besseren Verständnis vereinfacht dargestellt
Hinweis: Es ist zu unterscheiden zwischen Kuhglocken (gegossen) und Kuhschellen (geschmiedet). Nachfolgen werden alle Arten als Kuhglocken bezeichnet.
Die Argumente
Kuhglocken stehen immer wieder in der Diskussion tierschutz-relevant zu sein. Sowohl Befürworter also auch Gegner führen Argumente an, die plausibel erscheinen. Die Diskussionen sind zum Teil stark emotionsgeladen und wenig sachlich. Leider gibt es wenig wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema, so dass beiden Seiten häufig nur Vermutungen und Annahmen in den Ring werfen können.
Die Kuhglocken sollen in unübersichtlichen Regionen den Standort der Kühe anzeigen. Daher werden Kuhglocken besonders häufig in Gebirgsregionen verwendet. Verirrte oder ausgebrochene Kühe können anhand der Glocken gefunden werden.
Bauern können (so sagt man) die einzelnen Kühe an ihren Glocken erkennen.
Wanderer und Radfahrer werden durch die Kuhglocken auf eine belegte Weide aufmerksam. So haben Wanderer z. B. Gelegenheit, ihre Hunde rechtzeitig anzuleinen und einen Weg in gebührendem Abstand zu den Kühen auszuwählen.

Eine ähnliche Signalwirkung wird teilweise auch für den Straßenverkehr aufgeführt, ist jedoch zu bezweifeln. Bei geschlossenen Fenstern und eingeschaltetem Radio dürfte eine läutende Kuhherde von weitem akustisch nicht besser als visuell zu erkennen sein. Nebel dämpft dabei sowohl den Blick als auch Geräusche.
Beim Einsatz von Hütehunden oder ggf. auch Herdenschutzhunden an der Herde können die Kuhglocken dem Hund eine gewisse Orientierung über den Standort der Kühe geben.
Sehr häufige Argumente pro Kuhglocken sind „Kultur, Tradition, Brauchtum, Touristenattraktion, Stolz der Bauern (und der Kühe)“ und ähnliches. Diese Argumente sollten jedoch am Wohl der Kühe gemessen werden. Weitere Argumente wie „beruhigende Wirkung, schöne Klänge, Entspannung“ sind subjektiv und vereinzelte Klagen wegen Ruhestörung deuten an, dass nicht jeder dem Geläute etwas abgewinnen kann.

Einige Argumente für Kuhglocke heben auf die Kühe direkt ab. So erkennen sich – so heißt es – die Kühe an ihren Kuhglocken und ermöglichen es ihnen z. B. ranghöheren Tieren rechtzeitig auszuweichen. Kühe abseits der Herde erfahren mittels der Kuhglocken den Standort der Herde und können so zu dieser zurückfinden. Insbesondere in unübersichtlichem Gelände und bei schlechter Sicht wird unterstellt, dass die Kühe durch die Kuhglocken ein höheres Sicherheitsgefühl haben und die Herde zusammengehalten wird. Beweise für all diese Thesen gibt es nicht. Kühe können durch Lautgebung (Muhen) sowohl den Anschluss an die Herde wieder herstellen, als auch die Orientierung und den Zusammenhalt der Herde gewährleisten. Glocken sind dafür nicht erforderlich. Ob sie in diesem Zusammenhang Vorteile bieten, ist nicht untersucht.
Da Kühe sich (nach Aussage der Bauern) beim Anlegen der Glocken zum Almauftrieb nicht wehren, wird angenommen, dass die Glocken die Kühe nicht stören oder diese die Glocken sogar mögen. Wäre dem nicht so, würden Kühe ihren Unmut deutlich zeigen können oder versuchen, die Glocken abzustreifen. In der Tat reagierte in einer Studie eine Kuh so heftig auf das Anlegen einer Kuhglocke (heftiges Kopfschütteln, springen, rennen), dass die Kuh aus der Studie ausgeschlossen werden musste. Allerdings „mögen“ Kühe die Glocken vielleicht nur deswegen, weil sie mit dem Anlegen den Almauftrieb verbinden. Dies ist bisher nicht untersucht.
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Argumente gegen die Kuhglocken
Als Gegenargumente werden die Gewichte der Glocken angeführt. Diese wiegen nach Aussage der Bauernverbände rund 1 – 2 kg, nach Aussage von Hillmann (Untersuchung 2015, s. unten) können sie bis zu 5,5 kg wiegen. In Einzelfällen (Almabtrieb) werden noch schwerere Glocken verwendet. Glocken mit 5,5 kg scheinen negative Auswirkung zu haben, da bereits durch das Tragen der stillen Glocken weniger Grasfresszeiten zu registrieren waren (Untersuchung Hillmann 2015, s. unten). Zumindest bei leichten Glocken ist davon auszugehen, dass durch das Gewicht der Glocken keine negativen Beeinträchtigungen für die Kühe entstehen. Entsprechende Untersuchungen gibt es nicht.
Kuhglocken hängen an Halsbändern. Diese Bänder können scheuern, zu eng werden, zu Hautveränderungen führen etc. Die Kühe müssen daher regelmäßig dahingehend kontrolliert werden. Viele Bauern suchen die Kühe auf den Weiden 1 – 2-mal / Woche auf, vor allem um eine anhaltende Gewöhnung an Menschen zu erhalten und so den Almabtrieb einfacher zu gestalten. Wird in diesem Zusammenhang jede Kuh kontrolliert, können krankhafte Veränderungen im Bereich der Halsbänder in der Regel rechtzeitig bemerkt werden.
In einer Untersuchung in Simbabwe wurde festgestellt, dass Herden mit Glocken häufiger von Beutegreifern angegriffen wurden. Die Glocken wirkten scheinbar als Hinweis für einen „gedeckten Tisch“. Möglicherweise verhinderten die Glocken auch, dass die Weidetiere die Beutegreifer rechtzeitig akustisch wahrnehmen konnten. Untersuchungen in Europa gibt es hierzu nicht.
Das Hauptargument gegen Kuhglocken ist jedoch das Läuten der Glocken an sich – also die anhaltenden, lauten Geräusche.

Streitpunkt: Kuhglocken-Lärm
Speziell zu Kuhglocken-Läuten gibt es nur eine Studie (Hillmann, 2015), welche sehr wenig Probanden hatte (19 Kühe, von denen zudem einzelne Testreihen nicht ausgewertet werden konnten), nur 3 Tage Untersuchungszeit mit wechselnder Herdenzusammensetzung aufwies und widersprüchliche Ergebnisse lieferte. So wurde z. B. festgestellt, dass Kühe mit „stillen Glocken“ weniger Fresszeiten hatten, als solche ohne Glocken oder mit läutenden Glocken. Erstaunlicherweise ergaben sich auch beim Abstand zu anderen Herdenmitgliedern keine Unterschiede zwischen den 3 Gruppen (ohne, stille und läutende Glocken). Möglicherweise steht dies in Zusammenhang mit der wechselnden Herdenzusammensetzung. Die Studiengruppe weist daher darauf hin, dass es sich um eine Pilotstudie handelt und weitere detaillierte Untersuchungen erforderlich sind.

Der Hauptkritikpunkt gegen die Studie zielt auf die Verwendung von 5,5 kg schweren Glocken ab. Nach Aussage der Kuhglocken-Befürworter ist dieses Glockengewicht nicht realistisch. Nach Hillmann ist diese Glockengröße nicht ungewöhnlich. Betrachtet man sich (die nicht repräsentative) Auswahl an Kühen mit Glocken in einer Kuhglocken-Befürworter-Gruppe bei Facebook, erscheinen schwere Glocken vielleicht nicht die Regel, aber auch keine seltene Ausnahme zu sein.
Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit Einfluss von Lärm und Geräuschen auf Kühe, häufig wird dabei auf Stallgeräusche (Melkmaschine) oder ähnliche Umgebungsgeräusche abgehoben. Nimmt man alle Untersuchungen zusammen, ergibt sich das nachfolgende Bild.
Kühe haben ein größeres und anders gelagertes Hörspektrum als der Mensch:
- Kuh: Hörspektrum 23 Hz and 35 kHz, empfindlichste Wahrnehmung bei ca. 8 kHz
- Mensch: Hörspektrum 16 Hz – 20 kHz), empfindlichste Wahrnehmung zwischen 2 – 5 kHz.
Während bei Menschen ab ca. 85 db(A) mit Hörschäden zu rechnen ist und unter 85 dB(A) extra-auralen Wirkungen (physiologische Veränderungen) möglich sind, wurde bei Kühen Unbehagen bei 90 – 100 dB festgestellt und eine Gehörschädigung ab 110 dB.
Eine physiologische Gewöhnung an Lärm findet beim Menschen nicht statt. Das heißt: Lärm (definiert als unangenehm empfundenes Geräusch) wird zwar eventuell irgendwann nicht mehr bewusst wahrgenommen, wirkt sich aber auf Stoffwechselfunktionen (etwa Stresshormone) aus. Bei Kühen geht man davon aus, dass eine Gewöhnung an Geräusche im Bereich von 60 – 90 dB erfolgen kann. Durch lautere Geräusche werden in der Regel physiologische Prozesse nachhaltig beeinflusst. Wie beim Menschen zählen hierzu z. B. Störungen der sekretorischen Aktivität der Nebennierenrinde („Stresshormone“), nachteilige Veränderungen im Stoffwechsel mehrfach ungesättigter Fettsäuren und Verminderung der Immunreaktionen. Bei Milchkühen kann dies zur Reduzierung der Milchleistung und Veränderung der Milchzusammensetzung führen (ab ca. 105 dB).
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Die Geräusche der Kuhglocken betragen laut Hillmann (2015) in 20 cm Entfernung (also etwa der Entfernung von der Glocke bis zum Kuh-Ohr) zwischen 100 und 110 dB(A). Das deckt sich in etwa mit den Angaben von Mantel, die sich auf 1 m Entfernung beziehen. Mantel weist darauf hin, dass Glockenläuten impulshaltige Geräusche sind, die in den Glocken nachhallen. Impulshaltige Geräusche werden (von Menschen) anders wahrgenommen als gleichförmige Geräusche und erhalten in akustischen Berechnungen daher einen Impulszuschlag.

Die Lautstärke der Glocke und der gesamten Herde ist u. a. abhängig von der Größe und dem Material der Glocke, der Beschleunigung des Schwengels (was wiederrum abhängig ist von der Art und der Stärke der Bewegung der Kuh), von der Anzahl der Kühe und der Geländeformationen (reflektierende Flächen, wie Häuser- oder Felsenfronten).
In der Untersuchung von Hillmann aus 2015 wurden zwar Veränderungen festgestellt, viele waren jedoch nicht signifikant und zeigten daher bestenfalls nur Tendenzen oder schlechtestenfalls nur Zufallsergebnisse an. Die Phasen des Wiederkäuens waren bei Einsatz von Glocken reduziert, ebenso die Kopfbewegungen (hier gab es signifikante Unterschiede zwischen glockenlosen Kühen und solchen mit stillen Glocken). Die Liegezeiten sanken nach 3 Tagen stark ab. Die Herzfrequenz veränderte sich nicht.
In einer zweiten Studie von Hillmann und Co. (2019) wurden die Kühe über 5 Tage immer wieder Geräuschen (rosa Rauschen) mit einer Lautstärke von 65 bzw. 85 dB ausgesetzt. Das rosa Rauschen unterscheidet sich deutlich von den Klangcharakteristiken von Kuhglocken und war somit für alle Kühe ein neues Geräusch. Im Versuch wurden zwar Schreckreaktionen, Vermeidungsverhalten und bei 85 dB(A) eine erhöhte Herzfrequenz festgestellt, aber auch eine Gewöhnung im Laufe der Versuchszeit.
Erläuterung „rosa Rauschen“: Hierbei nimmt die Lautstärke mit steigender Frequenz ab. Das resultierende Geräusch wird vom Menschen so empfunden, als wären alle Frequenzbereiche des hörbaren Schallspektrums gleich laut. Häufig wird rosa Rauschen zum Einschlafen empfohlen. Im Gegensatz dazu wird weißes Rauschen als stark höhenbetontes Geräusch empfunden. Kühe nehmen das Frequenzspektrum anders wahr (siehe oben) und sind in höheren Frequenzbereichen empfindlicher als der Mensch. Es ist davon auszugehen, dass sie das rosa Rauschen anderes empfinden als Menschen.
Aus den Studien lässt sich keine eindeutige Aussage dazu treffen, wie Kühe Kuhglocken empfinden. Es lassen sich jedoch stark begründete Vermutungen aus den Studien ableiten: laute, andauernde Geräusche können Kühe unter Stress setzen (z. B. veränderte Herzfrequenz, Reaktion des sympathischen Nervensystems). Es können Verhaltensänderungen auftreten, wie z. B. verminderte Kopfbewegungen, weniger Grasfressen, geringere Liegezeiten verbunden mit weniger Zeiten des Wiederkäuens. Zumindest zu Beginn der Tragzeit einer Glocke bis eine Gewöhnung auftritt, können Angst- und Schreckreaktionen auftreten. Je lauter die Geräusche sind, desto erkennbarer sind Reaktionen auf die Geräusche. Schwere Glocken können auch ohne Geräusche zu Verhaltensänderungen führen.
Allerdings ist keine dieser, wenn auch begründeten Vermutungen, wirklich eindeutig an einer größeren Probandenzahl mit bzw. ohne Kuhglocken belegt. Insgesamt sind daher deutlich mehr Untersuchungen zu diesem Thema erforderlich. Hierbei sollte z. B. über einen längeren Zeitraum das Verhalten (Reaktion auf eigene und fremde Glocken innerhalb der Herde) und die physiologischen Eckdaten von Freilandrindern mit und ohne Glocken verglichen werden.
Alternativen
GPS-Geräte statt Glocken sind inzwischen serienreif und ermöglichen eine permanente Überwachung der Herde, ohne diese unmittelbar aufsuchen zu müssen. Allerdings sind die Geräte teurer als Kuhglocken. Zudem kann in bestimmten Bereichen die Netzabdeckung unzureichend sein.
Leichte und leisere Glocken gleichen Nachteile bezüglich Gewicht und Geräuschen zwar aus, sind aber ggf. nicht weit genug in unübersichtlichem Gelände zu hören.
Auf übersichtlichen Weiden sowie im Stall sollten den Tieren keine Glocken angelegt werden.
Die Größe und das Gewicht der Glocken sind jeweils der Spezies und dem Individuum anzupassen.
Literatur (Auswahl)
Hillmann E. et al.: Do bells affect behaviour and heart rate variability in grazing dairy cows? PLOS ONE June 25, 2015
Hillmann E. et al.: Regular exposure to cowbells affects the behavioral reactivity to a noise stimulus in dairy cows. frontiers in veterinary science, Sept. 2017
Mantel, J: Noise prediction of cattle bells. INTER-NOISE and NOISE-CON Congress and Conference Proceedings. Vol. 1997. No. 3. Institute of Noise Control Engineering, 1997
Angrecka S. et al.: Noise as a factor of environmental stress for cattle – a review. Ann. Anim. Sci., Vol. 23, No. 3, 717–723, 2023
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