Ein archäologischer Krimi über die Untersuchungen an einem prähistorischen Grab. Neben Darstellung der Untersuchung und zahlreichen Hintergrundinformationen werden die Befunde in die Entwicklungsgeschichte des Menschen eingeordnet.
Überblick
Sachbuch: Harald Meller, Kai Michel: Das Rätsel der Schamanin. Rowohlt Verlag Hamburg November 2022
Bewertung: gute populärwissenschaftliche Darstellung der Untersuchung eines prähistorischen Grabes, der Lebensweise der damaligen Menschen (Pleistozän, Mesolithikum) und die Relevanz zur heutigen menschlichen Lebensweise. Nicht nur für historisch Interessierte lesenswert.
Kurze Zusammenfassung des Buchs
In Bad Dürrheim wurde ein reich ausgestattetes prähistorisches Grab, das Skelette eines Erwachsenen und eines Kleinkindes enthält, erneut untersucht. Was kann man nach 9.000 Jahren noch über diese Menschen, ihre Lebensweise, ihre Bedeutung in ihrem sozialen Umfeld und ihren Tod feststellen?
Meller und Michel beschreiben die Forschungsarbeiten in einem Mix aus kriminalistischen Prosatexten und ergänzenden Hintergrundinformationen.
Durch die Wiederaufnahme der Untersuchungen der Skelette, des Grabs und dessen Umgebung konnten viele offene Fragen geklärt werden, einige Fragen bleiben leider offen.
Unter anderem wurde festgestellt, dass das Grab in prähistorischer Zeit scheinbar mindestens über 800 Jahre bekannt war und geehrt wurde. Das imponiert vor allem deswegen, weil es zu dieser Zeit noch keine Schrift gab, die Überlieferung also ausschließlich mündlich erfolgte. Zum Vergleich: Vor etwa 800 Jahren starben z. B. Dschingis Khan, Franz von Assisi und Karl der Große.
Wozu ist Archäologie wichtig? Sie ortet den Menschen und sein Verhalten in seine Entwicklungsgeschichte ein. Auch das wird im Buch an Beispielen erläutert.
Den größten Teil der Menschheit (mehr als 80 %) verbrachte der Mensch als Jäger und Sammler. Die Menschen zogen in kleinen Familiengruppen umher. Es gab weder eine Geschlechtsdifferenzierung noch speziell ausgebildete Berufe. Durch gemeinsame Treffen der verschiedenen Gruppen (z. B. in Höhlen wie Lascaux oder Altamira) wurde der Zusammenhalt der einzelnen Gruppen erhalten. Der soziale Zusammenhalt war wichtig für das Überleben.
Für die Menschen der damaligen Zeit waren alle Lebewesen und Dinge beseelt (animistische Weltsicht). Alles ließ sich auf gewolltes Verhalten dieser Seelenwesen zurückführen, die durch ihre Handlungen straften oder belohnten. Egal, ob Krankheit oder Erdrutsch – jedes Unglück konnte dadurch erklärt werden.
Erst mit Aufkommen der Landwirtschaft breitete sich die auch heute noch typische Lebensweise aus: Sesshaftigkeit, Differenzierung in Berufe, Patriarchat, Besitzverteidigung, Herrschaftsdenken, Ein-Gott-Religionen,…..
Setzt man den Beginn der Landwirtschaft auf ca. 5.000 v. Chr. und nimmt eine Generation mit 20 Jahren an, sind das knapp 350 Generationen. Zu kurz, für eine evolutionäre Anpassung an die neuen Lebensbedingungen. Die Autoren führen daher Zivilisationsunmut auf die mangelnde biologische Anpassung des Menschen an seine selbst geschaffene Umgebung zurück. Viele Verhaltensweisen, wie Aberglaube und Maskottchen, aber auch die typisch menschlichen Wahrnehmungsfehler (siehe auch: Duo infernale: Bias und Populisten) sind Relikte unserer prähistorischen Wurzeln.
Im Buch wird außerdem die kulturell beeinflusste sowie die ideologisch manipulierte Interpretation historischer Funde aufgezeigt. Bedingt durch den kulturellen Einfluss geht man bei weiblichen Skeletten in Gräbern mit Feld- und Kriegswerkzeugen meist nicht davon aus, dass diese Frau eine Führungsposition inne hatte.
Als Beispiel zur ideologischen Verfälschung wird u. a. die erste Interpretation des Fundes aus Bad Dürrheim angeführt: 1934 wurde das Grab entdeckt und von den Nazis als Beweis des seit Urzeiten in Mitteleuropa ansässigen Urgermanen angeführt. Natürlich männlich, blond, blauäugig und hellhäutig. Bei dem Fund handelte es sich jedoch um eine dunkelhaarige und dunkelhäutige Frau. Also weit vom Urgermanen entfernt. Die Germanen entwickelten sich sehr viel später aus den von Anatolien eingewanderten hellhäutigen Landwirten. Nach dieser „Volksdurchmischung“ gab es später noch zahlreiche weitere Durchmischungen.
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