Placebo: Die Macht des Geistes

Placebos zeigen Wirkung, ohne dass ein Wirkstoff vorliegt. Bei manchen Behandlungen können sie, selbst bei Tieren, sinnvoll sein. Viele Wirkungen der alternativen Medizin beruhen auf dem Placebo-Effekt. Andererseits hat der Placebo-Effekt Grenzen und führt bei placebo-kontrollierten Studien zu Problemen.

Zum besseren Verständnis stark vereinfacht

Was sind Placebos?

Placebos sind Stoffe oder Behandlungen, die wirken, obwohl sie eigentlich keine Wirkung haben können: Ihnen fehlt eine konkrete Wirksubstanz oder ein Wirkmechanismus. Placebos können z. B. eine Kochsalz- oder Zuckerlösung sein, eine imitierte Operation, eine Inhalationslösung aus normaler Luft oder ähnliches.

Man unterscheidet

  • Placebos: führen zu Verbesserungen, ahmen also die positive Wirkung der Wirkstoffe von Medikamenten nach = Placebo-Effekt
  • Nocebos: führen zu Verschlechterungen, ahmen also die negativen Wirkungen (Nebenwirkungen) von Medikamenten nach = Nocebo-Effekt

Zu den Placebos gehören nicht Substanzen (Behandlungsmethoden), die nachweislich wirken, aber deren Wirkmechanismus noch nicht bekannt ist. Der Nachweis der Wirksamkeit kann jedoch schwierig sein (s. u.: Studienverzerrungen). Zwar haben auch Placebos eine Wirkung, ohne dass die Wirkungsweise vollständig bekannt ist. Sie haben jedoch keinen Wirkstoff und sind somit Placebos.

Zu den Placebos / Placebo-Effekten gehören ebenfalls nicht die folgenden Punkte:

  • Regression zur Mitte: Veränderungen eines Zustandes ohne jegliche Behandlung aufgrund normaler Schwankungen. Schmerzen treten z. B. häufig in Wellen auf. Nach einem starken Schmerz folgt wieder eine Phase weniger starken Schmerzes. Dennoch können solche Schwankungen zum Placebo-Effekt beitragen (s. u. Erwartung-und-Vorwegnahme…).
  • Normale / Natürliche Veränderungen: Hierzu zählen etwa, dass ein Schnupfen auch ohne Behandlung meist nach 7 Tagen überstanden ist, altersbedingte Verschlechterungen eines Gesundheitszustandes sowie verhaltens- oder umweltbedingte Verbesserung (andere Ernährung, mehr Bewegung).
  • Nebeneffekte, wie Verhaltensänderungen aufgrund erwarteter Wirkungen: Bewegt sich ein Schmerzpatient nach Einnahme einer (Placebo-)Pille in Erwartung der Symptom-Verbesserung mehr, kann unter Umständen alleine durch die Bewegung eine Besserung erfolgen. Ebenso: Schont sich ein Patient aufgrund einer Krankschreibung, können bereits dadurch Verbesserungen auftreten.
  • Spontanheilung: Vollkommene Heilung ohne jegliche Behandlung oder andere erkennbare Gründe.
  • Fehleinschätzungen von Patienten oder Behandlern: Überschätzen einer Wirkung; Bekunden einer Wirkung, die objektiv nicht vorhanden ist.

Beispiele von Placebo-Wirkungen

Placebos können erstaunliche Wirkungen hervorrufen.

So berichtet Goldacre, dass Theodor Kocher in den 1890er Jahren eine Schilddrüsenentfernung ohne Betäubung durchführte. Auch Mitchel soll demnach zu Anfang des 20ten Jahrhunderts Amputationen und ähnliches ohne Betäubung durchgeführt haben. Im Zweiten Weltkrieg operierte Henry Beecher einen Soldaten in einem Feldlazarett, den er lediglich mit einer Kochsalzlösung anstelle von Morphium „betäubte“.

Meist wird jedoch von weniger starken Placebo-Effekten berichtet, etwa, dass Schmerzen auch nach Einnahme eines Placebos verschwanden. So kann ein Placebo-Schmerzmittel nach Zahnextraktion so wirkungsvoll wie eine Morphingabe sein. Manche Medikamente können auch nach einer gewissen Zeit bei gleichbleibender Wirkung durch Placebos ersetzt werden (s. u. Lernen).

Treten Nebenwirkungen auf, die auf dem Beipackzettel von Placebos gelistet sind, handelt es sich um Nocebo-Effekte. Diese Effekte finden sich auch bei Medikamenten. Hier treten Nebenwirkungen häufiger auf, wenn sie im Beipackzettel genannt sind und entsprechend seltener, wenn sie dort nicht aufgeführt sind.

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Wieso wirken Placebos?

Die Frage, wieso Placebos wirken, wurde in den letzten Jahre intensiv erforscht.

Kurz gesagt, wirken Placebos durch Täuschung oder Verschleierung, wobei verschiedene Faktoren relevant sind, die wiederum von vielen Einflüssen abhängen.

Grafik: Menschlicher Körper. Psychozoziale Faktoren sind Vorstellung (Erwartung, Überzeugung, Vertrauen, Hoffnung) und Lernen (verschiedene Lerntypen). Diese Faktoren wirken auf das Gehirn und dieses auf den Körper. Das Gehirn hat Einfluss auf den Körper. Zum Beispiel überwacht das Gehirn die Vorgänge im Körper und veranlasst erforderlichenfalls Anpassungen in Stoffwechselvorgängen. Das Gehirn kann aber auch Gelerntes und Erwartetes als Grundlage für Anpassungen nehmen.
Das Gehirn hat Einfluss auf den Körper. Zum Beispiel überwacht das Gehirn die Vorgänge im Körper und veranlasst erforderlichenfalls Anpassungen in Stoffwechselvorgängen. Das Gehirn kann aber auch Gelerntes und Erwartetes als Grundlage für Anpassungen nehmen. (Bildquelle Körper: pixabay).

Als wichtigste Faktoren, die miteinander in Verbindung stehen, gelten:

  • Erwartungshaltung hinsichtlich der Behandlung: Die Verbesserung wird gedanklich vorweggenommen und ist stark vom Umfeld sowie von vorherigen Erfahrungen (Lernen) beeinflusst. Wird die Wirkung eines Placebo-Medikaments in den höchsten Tönen durch den Arzt gelobt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die erwartete Wirkung eintritt. Aber auch eine (gelernte) Erwartung, etwa dass der Arzt helfen kann, ist für eine Placebo-Wirkung wichtig.
  • Lernen in all seinen Facetten (klassische Konditionierung, unbewusstes Lernen, soziale Konditionierung, Beobachtungslernen etc.): Hierbei wird auf bereits Erlebtes (oder sozio-kulturell ermitteltes) zurückgegriffen. In diesem Zusammenhang sind somit vorherige Erfahrungen mit Behandlungen, dem jeweiligen Arzt, dem Medikament etc. relevant, aber auch die gelernte Einstellung des Umfeldes / der Person zu der Behandlungsmethode / dem Arzt.

Man geht davon aus, dass beim Placebo-Effekt die Erwartungshaltung eine größere Rolle spielt, als der Lerneffekt.

Wichtig sind aber auch Persönlichkeitsmerkmale und die individuelle Denkweise. Hierunter fallen Faktoren wie Ängstlichkeit, Reaktionen auf Belohnungen und Suggestionen, Hoffnung und Vertrauen.

Erwartung und Vorwegnahme

Erwartungen und Vorwegnahme einer Situation können aus eigenen Erfahrungen (Lernen) resultieren oder auf sogenannten sozio-kulturellen Aspekten. Über soziale Kontakte werden Informationen individuell vermittelt (z. B. über die Wirksamkeit einer Substanz). Kulturelle Aspekte betreffen dagegen größere Personengruppen (z. B. die teilweise Überhöhung des Ärztestandes Mitte des 20ten Jahrhunderts).

Der sozio-kulturelle Aspekt führt zum Beispiel dazu, dass größere Placebo-Tabletten besser wirken als kleinere oder mehr Placebo-Tabletten besser sind als weniger. Auch die Farbe der Medikamente kann eine Rolle spielen. Placebo-Spritzen und Placebo-OPs haben eine bessere Wirkung als Placebo-Tabletten. Die Erwartungshaltung wird ebenso von der Gestaltung der Warte- und Behandlungsräume, der Kleidung des Arztes, ausgehängten Diplomen und Fortbildungsurkunden und zahlreichen weiteren Faktoren beeinflusst.

Auch Werbung beeinflusst die Erwartung an ein Medikament. Bei einem stark beworbenen Produkt ist die Erwartungshaltung hinsichtlich Wirkung höher – und somit die Wahrscheinlichkeit, dass es wirkt.

Ferner ist das Verhältnis zwischen Arzt und Patient wichtig. Vertraut der Patienten dem Arzt, ist die Wirkung besser, als bei weniger oder keinem Vertrauen oder ohne Beziehung zwischen Arzt und Patient. Ausführliche Gespräche und Erklärungen, Verständnis für eine Situation fördern das Vertrauen.

Für den Patienten ergibt sich mit dem Arztbesuch / der Behandlung das Gefühl, aktiv etwas gegen eine Erkrankung tun zu können und ihr nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Diese positive Erwartung kann bereits bestimmte Körperreaktionen aktivieren, gleichzeitig wird das Gefühl der Hilflosigkeit gehemmt. Besonders gut wirkt sich dies bei Ängsten aus (z. B. Angst vor Schmerzen oder der Sorge, nicht einschlafen zu können). Durch die Erwartung, dass der Zustand sich bessert, sinken Stresshormone. Im Bereich der Homöostase (des normalen Hormongleichgewichts) fühlt man sich besser.

Verbunden mit dieser Hoffnung auf Besserung, können Wahrnehmungsveränderungen einhergehen. Schmerzen werden etwa nicht mehr als so gravierend wahrgenommen, obwohl sie unverändert sind. Kleine Verbesserungen werden registriert und somit zu einem selbst bestärkenden, die Heilung fördernden, Signal. Ebenso können durch die Hoffnung auf Besserung Verhaltensänderungen erfolgen. Diese zählen zwar nicht direkt zu den Placebo-Effekten, können aber zusätzlich den Krankheitsverlauf bessern.

Im Aufbau von Erwartungen spielt auch die Regression zu Mitte hin eine Rolle. Wird etwa auf der Höhe des Schmerzes ein Placebo eingenommen und der Schmerz sinkt naturgemäß ohnehin wieder, wird eventuell eine positive Erwartung hinsichtlich des „wirksamen Mittelns“ aufgebaut.

Erstaunlicherweise kann sogar ein Placebo-Effekt auftreten, wenn der Patient hinsichtlich der Wirksamkeit leichte Zweifel hegt. Hier wirkt scheinbar somit ein gewisser Grad an (Auto-)Suggestion.

Lernen

Benedetti (2018) und sein Team berichteten in der provokant titulierten Studie „Can placebo replace oxygen?“ von erstaunlichen Ergebnissen. Sie untersuchten die Befindlichkeiten von Bergsteigern in großen Höhen. Die Sauerstoffsättigung des Blutes nimmt dort aufgrund des geringeren Sauerstoffgehaltes der Luft ab, die Herz- und Atemfrequenzen werden erhöht, die Versorgung der inneren Organe mit Sauerstoff wird verändert. Es treten Symptome wie Kopfschmerzen und Erschöpfung auf. Üblicherweise werden in großen Höhen daher Sauerstoffmasken verwendet.

Bild: Bergsteiger auf Verschneiter Fläche mit Blick ins Tal. In großen Höhen verwenden Bergsteiger meist Sauerstoffmasken, da der Sauerstoffgehalt der Luft geringer ist. Eine Anpassung an reduzierte Sauerstoffumgebung ist nur langsam und nur bis zu einem gewissen Sauerstoffgehalt möglich.
In großen Höhen verwenden Bergsteiger meist Sauerstoffmasken, da der Sauerstoffgehalt der Luft geringer ist. Eine Anpassung an reduzierte Sauerstoffumgebung ist nur langsam und nur bis zu einem gewissen Sauerstoffgehalt möglich. (Bildquelle pixabay).

In der Untersuchung benutzten die Bergsteiger zunächst Sauerstoffmasken. Dann wurden Placebo-Sauerstoffmasken eingesetzt. Obwohl die Sauerstoffsättigung des Bluts dadurch nicht (wie bei der Verwendung echter Sauerstoffmasken) zunahm, reduzierte sich die Atemfrequenz. Herzschlag und Sauerstoffversorgung im Gewebe normalisierten sich, Kopfschmerzen verschwanden und die Erschöpfung nahm ab.

Hinsichtlich der Vitalität konnte sogar ohne vorheriges „Lernen“ (Verwendung von Sauerstoffmasken) ein positiver Effekt erzielt werden. Es reichte also bereits eine vom Versuchsleiter versprochene Erwartung einer Verbesserung (sozio-kultureller Aspekt).

Der Versuch zeigt, dass Stoffwechselvorgänge vom Körper gelernt werden können. Ähnliche Versuche fanden bereits vorher bei verschiedenen Tierarten (meist Ratten und Hunden) statt. Wurde Morphin gegeben und dieses nach einer gewissen Zeit durch Placebos ersetzt, blieb die körperliche Wirkung gleich. Auch bei entzündungshemmenden Mitteln konnte nachgewiesen werden, dass Placebos die Stoffwechselvorgänge (hier den Cyclogenase-Stoffwechselweg, COX-Stoffwechsel) nach einer „Lernphase“ genauso beeinflussen können, wie Arzneimittel.

Der Auslöser des erlernten Placebo-Effektes, das konditionierte Signal, kann individuell sehr verschieden sein und umfasst daher zahlreich Möglichkeiten: der Besuch beim Arzt, ein verständnisvolles Gespräch, das Rezept in der Hand, die Einnahme eines Medikaments…..

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Vom Geist in die Zelle

Wie aber werden die Signale aus dem Gehirn (dem Geist, dem Wollen oder Glauben) an die einzelnen Körperzellen weitergegeben? Diesbezüglich gibt es im Detail noch große Wissenslücken.

Wahrscheinlich ist, dass nicht nur ein einzelner Wirkungsmechanismus existiert, sondern mehrere. Die Stoffwechselpfade sind bei der Placebo-Wirkung (fast) die gleichen, wie bei den Wirkstoffen. Umgekehrt heißt das: Die Wirkung von Medikamenten wird, wie bei Placebos, auch von anderen Faktoren beeinflusst (s. u.: Medikamente.. ).

Das Gehirn reagiert auf vorgestellte (imaginierte) Szenen (teilweise) ähnlich wie auf reale Situationen. Placebos könnten also im Gehirn die Erinnerung an die Reaktion auf echte Wirkstoffe (oder Behandlungen) hervorrufen und so die identischen Reaktionen „veranlassen“ (Theorie des „erinnerten Wohlbefindens“).

Mittels Gehirnscans wurde festgestellt, dass bei Parkinson-Patienten in einigen Hirnregionen identische Veränderungen bei Wirkstoffen und bei Placebos erfolgen. So konnten sowohl Veränderungen der Plasma-Endorphine und der Reaktionsmuster von Neuronen im Nucleus subthalamicus bei Wirkstoffen und Placebos festgestellt werden. Der Nucleus subthalamicus ist ein Gehirnteil, welches auch in die Bewegungssteuerung eingebunden ist.

Eine wichtige Rolle spielen körpereigene Opioide, die ebenfalls bei Placebo-Schmerzmitteln aktiviert werden. Auch andere Neurotransmitter, wie Dopamin (unter anderem für das Belohnungssystem relevant), wirken bei Placebo-Effekten mit. Letztendlich werden die gleichen Rezeptoren aktiviert, wie bei Wirkstoffen.

Bei wem wirken Placebos?

Placebos wirken nicht bei jedem und nicht bei jedem gleich gut. Man schätzt, dass lediglich rd. 35 % der Menschen für Placebo-Effekte empfänglich sind. Diese werden als Responder bezeichnet, die anderen als Non-Responder. Ob Placebos wirken und wie sie individuell bei Respondern wirken, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Die Placebo-Wirkung ist daher auch bei Mensch und Tier unterschiedlich (s. u.. … Tiere…).

Gelernte Erfahrungen sind ein wesentlicher Teil der Placebo-Wirkung (s. o. Lernen). Somit wirken Placebos besser bei jenen, die zuvor mit (scheinbar) gleichen Medikamenten und Behandlungen bereits gute Erfahrungen hatten (oder meinen, gehabt zu haben).

Als weiterer wichtiger Punkt werden individuell unterschiedliche neuronale Voraussetzungen im Belohnungssystem angesehen. So konnte bei Parkinson-Kranken eine Korrelation zwischen Placebowirkungen und Gehirn-Reaktion auf Geldbelohnungen festgestellt werden sowie zwischen Erwartung einer Belohnung und Dopaminaktivierung im Nucleus accumbens. Das heißt, je mehr das Gehirn auf Belohnung anspricht, desto größer war die Ansprechbarkeit auf Placebos.

Die Neurotransmitter-Homöostase (quasi der „Normalzustand“ der Neurotransmitter) wird genetisch beeinflusst. Dadurch ergibt sich einerseits eine genetische Veranlagung für psychische Faktoren (Gemütsverfassungen, soziale Ängste, Depressionen, Belohnungshaltung etc.) und bestimmte Erkrankungen (wie dem Reizdarmsyndrom). Andererseits folgt daraus eine genetische Veranlagung in Bezug auf Non-Responder sowie individuelle Reaktionen von Respondern.

Medikamente und Wirkung

Medikamente wirken nicht nur durch ihre Wirkstoffe, sondern auch durch psychologische Faktoren, also Placebo-Effekte.

Grafik: Zu der Medikamentenwirkung addieren sich psychologische, soziale und kontextbezogene sowie biologische Einflüsse, die für einen Placebo-Effekt verantwortlich sind. Die Stärke der Einflüsse ist u. a. von der Krankheit, der Wirkungsgruppe und individuellen Faktoren abhängig. In dieser Grafik beträgt die medizinische Wirkung rd. 29 %, soziale und kontextbezogene Einflüsse rd. 25 % und die beiden anderen Einflüsse rd. 23 %. Bei Medikamenten treten neben der Wirkung durch den Wirkstoff auch Wirkungen durch den Placebo-Effekt auf. Wie stark dieser Effekt ist, ist sowohl abhängig von der Medikamentengruppe als auch von der tatsächlichen Stärke der einzelnen Einflüsse. Bei Medikamenten ist neben den Wirkstoffen auch ein Placebo-Effekt vorhanden. Ob und in welcher Stärke der Effekt vorhanden ist, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Eine generelle Aussage lässt sich nicht treffen. Die einzelnen Einflüsse können jedoch sehr hoch sein.
Bei Medikamenten ist neben den Wirkstoffen auch ein Placebo-Effekt vorhanden. Ob und in welcher Stärke der Effekt vorhanden ist, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Eine generelle Aussage lässt sich nicht treffen. Die einzelnen Einflüsse können jedoch sehr hoch sein.

Man vermutet, dass Toleranzentwicklungen gegenüber einigen Medikamenten, wie Schmerzmitteln, hinausgezögert werden könnten, wenn ein wiederkehrender Wechsel von Arzneimittel- und Placebo-Behandlungen erfolgt. Dadurch können auch Medikamenten-Nebenwirkungen reduziert werden.

Untersuchungen zeigen, dass manche Schmerzmittel keine echte Wirkung haben, sondern nur auf Basis des Placebo-Effektes wirken. In den letzten Jahren wurden über 90 % der klinischen Medikamententests von Schmerzmitteln frühzeitig abgebrochen, da sie keine deutlich bessere Wirkung als Placebos hatten. Ähnliche Zahlen liegen für Medikamente gegen Depressionen vor.

Das hat insbesondere in der Schmerztherapie zu einer stärkeren Berücksichtigung psychologische Faktoren geführt.

In der Präzisionsmedizin werden personalisierte Medikamente exakt auf einen Patienten und seine Erkrankung angepasst. Die Erfolge sind hoch. In einer Studie (Dasha, 2023) wurde eine Placebobehandlung mit einer angeblich auf den Patienten angepassten Placebobehandlungen verglichen. Wie sich zeigt, war die Wirkung in Bezug auf eine Abnahme des Schmerzempfindens bei der Gruppe mit der individuellen Behandlung stärker. Die Wirkung korrelierte zudem mit dem zuvor erfassten Persönlichkeitsmerkmal „Bedürfnis nach Einzigartigkeit“. Es ist daher möglich, dass die Erfolge der Präzisionsmedizin auch von Placebo-Effekten mitgetragen werden.

Studienverzerrungen

Die Verknüpfung zwischen echter Wirkung und Placebo-Effekt kann in klinischen Medikamenten-Studien zu Verzerrungen führen.

So zeigen Vergleichsstudien, in denen Medikamente mit Placebos verglichen werden, häufig schlechtere Wirkungen der Medikamente (geringerer Wirkungsabstand zur Placebo-Gruppe), als bei Studien, in denen 2 Medikamente verglichen werden. Alleine der Verdacht der Versuchsteilnehmer, eventuell ein Placebo zu erhalten, kann also die Medikamentenwirkung reduzieren, bis hin zu fehlenden statistisch signifikanten Unterschieden. Die tatsächliche Wirkung des Medikaments wird dadurch verschleiert.

Studien, in denen Medikament mit Placebos verglichen werden, müssen daher sehr sorgfältig aufgebaut werden.

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Die Grenzen

Erstaunlich an dem oben beschriebenen Versuch von Benedetti (2018, s. o.) ist, dass es sich bei der Sauerstoffversorgung um eine vom Körper streng überwachte Vitalfunktion handelt, die offensichtlich „getäuscht“ werden kann. Psychobiologische Mechanismen können demnach bei den, den Vitalfunktionen nachgelagerten, Stoffwechselfunktonen unter Umständen eine ähnlich große Bedeutung haben, wie die tatsächliche physiologische Größe (hier der Sauerstoffgehalt im Blut).

Grafik: Veränderungen bei Placebobeatmung von Sauerstoffsättigung im Blut (keine), Herzschlagfrequenz, Organdurchblutung, Kopfschmerzen und Ermüdung (sinken, aber weniger steil) im Vergleich zu Sauerstoffbeatmung. Verschiedene Effekte bei Sauerstoffbeatmung (durchgezogene Linie) und Placebo-Beatmung (gestrichelte Linie) in einer Höhe von 5.500 m. Während sich bei der Sauerstoffsättigung im Blut keine Veränderung durch Placebo-Beatmung ergibt, verändern sich andere Parameter, allerdings nicht so stark wie bei einer Sauerstoff-Beatmung. Lediglich die Ermüdung zeigt auch eine Verbesserung, ohne das die Bergsteiger vorher die positiven Effekte von Sauerstoffbeatmung gelernt hatten (Linie mit Strich-Punkten).
Verschiedene Effekte bei Sauerstoffbeatmung (durchgezogene Linie) und Placebo-Beatmung (gestrichelte Linie) in einer Höhe von 5.500 m. Während sich bei der Sauerstoffsättigung im Blut keine Veränderung durch Placebo-Beatmung ergibt, verändern sich andere Parameter, allerdings nicht so stark wie bei einer Sauerstoff-Beatmung. Lediglich die Ermüdung zeigt auch eine Verbesserung, ohne dass die Bergsteiger vorher die positiven Effekte von Sauerstoffbeatmung erfahren hatten (Linie mit Strich-Punkten).

Wie die Studie zeigt, können Placebos bestimmte Effekte von Sauerstoff nachahmen. Aber – und das gilt sinngemäß für alle Placebos – nicht den Sauerstoff ersetzen. Das heißt, dass die Wirkungen der Placebo-Beatmung

  • nur bis in bestimmte Höhen möglich sind und
  • mit steigender Höhe in der Wirkung z. T. abnehmen (etwa weniger wirksamer Einfluss auf Kopfschmerz und Blut-pH),
  • nicht so effektiv sind, wie eine Beatmung mit Sauerstoff (Kurvenverlauf flacher),
  • nicht alle Symptome ohne „Lernen“ beeinflussen (lediglich Erschöpfung wurde ohne Lernen verringert),
  • in keinem Fall die Ursache der Symptome – nämlich den reduzierten Sauerstoffgehalt im Blut – verändert.

Wo wirken Placebos gut und wo nicht?

Krankheiten, die eine psychologische Komponente haben, können (bei Respondern) gut mit Unterstützung von Placebos behandelt werden.

Placebos wirken allerdings nicht bei allen Krankheiten. Bei schweren Infektionserkrankungen, Krebs, Herzerkrankungen und vielen anderen Erkrankungen haben Placebos keine heilende Wirkung. Hier können sie lediglich zur psychischen Behandlung von Nebenwirkungen verwendet werden.

Auch eine Vollnarkose aufgrund von Placebos ist nicht zu erwarten (unabhängig davon können bei manchen Menschen und suggestiven Behandlern Pseudo-Schmerzmittel wirken).

Beispiele, wo Placebos echte Wirkstoffe nicht ersetzen können

  • bei fehlenden körpereigenen Substanzen (etwa Hormondefiziten),
  • Impfungen (rechtzeitiger Aufbau von körpereigenen Antikörpern),
  • Antibiotika (Wirkstoffe gegen Bakterien),
  • Krebsbehandlung,
  • erforderlichen OPs (Blinddarmdurchbruch).

Placebos und alternative Medizin

Als alternative Medizin werden (vereinfacht ausgedrückt) Behandlungsmethoden und -mittel bezeichnet, für die wissenschaftlich keine Wirksamkeit nachgewiesen ist, wie z. B. bei der Homöopathie.

Dass sie dennoch (teilweise) wirken, liegt an der Wirkungsweise von Placebos. Der Behandler baut ein Vertrauensverhältnis auf und preist seine Methoden als sehr wirksam an. Patienten haben evtl. ein bestimmtes sozio-kulturelles Umfeld oder haben in vorherigen Fällen positive Erfahrungen gesammelt, die sich aus Regression zur Mitte, natürlichen Heilungsprozessen oder aus Erwartungshandlungen ergeben.

Auf Basis (tatsächlicher oder vermeintlicher) erfolgreicher Behandlung lautet die Argumentation der Behandler meist ähnlich: Selbst wenn durch die Behandlung nur die Selbstheilungskräfte aktiviert werden, zeigt das doch, dass diese Methoden wirken und Pharmaka, Impfungen, OPs etc. überflüssig sind. Es wird der Anschein erweckt, dass mit diesen Methoden (die letztendlich auf dem Placebo-Effekt basieren) alle Krankheiten geheilt werden können.

Dabei wird verschwiegen, dass Placebos nur bei bestimmten Krankheiten wirksam sein können und oft nur die Symptome und somit die Lebensqualität verbessern, nicht aber die Krankheit an sich heilen (s. o.). Placebos können bei vielen Erkrankungen nur die psychologischen Aspekte verändern. Die natürlichen Selbstheilungskräfte sind beschränkt. Oder wie Darak es beschreibt:

„Placebos sorgen dafür, dass es dem Betroffenen besser geht. Bei Medikamenten hingegen handelt es sich um bestimmte Moleküle, die dem Körper mit der Absicht verabreicht werden, eine biologische Wirkung hervorzurufen. Es wirkt, indem es einen oder mehrere biochemische Wege verändert, beispielsweise durch die Bindung an ein Rezeptormolekül oder die Enzymaktivität. Daher sind Medikamente für die Heilung einer Person verantwortlich, während Placebos an den Verbesserungen beteiligt sind, die sich aus den aktiven Prozessen im Gehirn ergeben.“
(Zitat Darak, Übersetzung: google).

Unberücksichtigt bleibt auch, dass Placebos nicht bei jedem Menschen und grundsätzlich stark individuell verschieden wirken.

Viele Behandler sind zudem wenig daran interessiert, wie die angewandten Methoden / Behandlungen genau wirken. Damit wird  ggf. Wirkstoffen und Behandlungen aus dem Bereich der alternativen Medizin die Aufnahme in die evidenz-basierte Medizin erschwert.

(Siehe auch Bioresonanz: Wissenschaft trifft Alternativmedizin)

Placebo-Effekten bei Tieren

Die Hauptwirkung des Placeboeffekts wird auf sozio-kulturelle Einflüsse zurückgeführt. Zahlreiche diese beeinflussende Punkte fallen bei Tieren weg. Die Kommunikation zwischen Tieren und zwischen Mensch und Tier ist eingeschränkt. Tiere haben keine (oder nur eine geringe) Erwartungshaltung bezüglich der Wirkung eines Medikaments. Daher ist die Übertragung von Wirkungen einer Placebo-Behandlungen (z. B. bei der Homöopathie) nicht ohne weiteres vom Menschen auf das Tier möglich. Behandlungen, die beim Menschen aufgrund der Erwartungshaltung gut wirken, wirken bei Tieren weniger gut.

Analog wie bei Menschen spielt jedoch der placebo-by-proxy-Effekt eine wichtige Rolle: die Übertragung des Placebo-Effekts durch einen Übermittler. Während der „Übermittler“ bei Menschen der Arzt, die Eltern oder andere Vertrauenspersonen sein können, ist das bei Tieren meist der menschliche Kontakt zum Halter. Dieser Effekt ist selbst bei Nutztieren feststellbar und natürlich auch bei Haustieren. Vor allem die Erwartungshaltung des Halters, aber auch geänderte Verhaltensweisen des Halters und Anforderungen durch den Halter können Placebo-Effekte fördern.

Eine andere Ursache des Placebo-Effektes ist das Lernen auf verschiedenen Ebenen. Hierdurch werden auch bei Tieren Placebo-Effekte erzeugt. An Labortieren wurden zahlreiche Versuche durchgeführt, bei denen die Tiere Schmerzmittel, Opioide oder sonstige Wirkstoffe erhielten und anschließend die gleiche Wirkung durch Placebos erzeugt wurde.

Den tatsächlichen positiven Effekten von Placebos steht jedoch die Überschätzung einer Wirkung gegenüber: Vom Halter beobachtete Verbesserungen der Erkrankung, die de facto nicht vorliegen. Dieser Effekt kann auch bei Behandlern auftreten, wenn sie etwa stark von ihrer Behandlung überzeugt sind. Solche Fehleinschätzungen können dazu führen, dass wirkungslose oder schlecht wirkende Behandlungen fortgesetzt werden. Sie stellen somit eine große Gefahr für das Wohl der Tiere dar.

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Literatur Tipp

Placebo-Forschungsgruppe

Quellen (Auszug)

Benedetti, F et al.: Thirty Years of Neuroscientific Investigation of Placebo and Nocebo: The Interesting, the Good, and the Bad. Annu. Rev. Pharmacol. Toxicol, 62:323–40, 2022

Benedetti, F et al.: Critical Life Functions: Can Placebo Replace Oxygen? International Review of Neurobiology, Volume 138, Pages 201-218, 2018

Darak, B: Studies on the Mechanism and Impacts of Placebo Effect: Illness and Interpersonal Healing. International Journal of Innovative Science and Research Technology Volume 7, Issue 12, December 2022

Dasha, S et al.: Presenting a sham treatment as personalised increases the placebo effect in a randomised controlled trial. eLife 2023

Goldarce, B: Die Wissenschaftslüge. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt Main, 2010

McMillan, FD: The placebo effect in animals. Scientific Reports JAVMA Vol 215 No 7 Oct 11999

Murell, J: The placebo response and pain: understanding mechanisms and their importance in pain medicine. 2020

naseweisbz.net

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